Für immer und für A. Zu allem Anderen verweigere ich die Aussage.


Das Glück lauert hinter jeder halbkreisrunden Ecke

Oder aber so ein Typ, ich hatte ihn erst gar nicht
bemerkt, erst als er mir mit dem Zeigefinger wies,
ihn nicht zu verraten, still zu sein, bemerkte ich
all das Blut, das an seinem linken Unterarm herunter-
rann, und dann den abgebrochenen Flaschenstumpf
in eben seiner linken Hand. Ich hatte erst angenommen
eine Kneipenschlägerei, wenn auch noch etwas früh,
an so einem Freitag, kurz vor halb drei, hier und
unweit des Innenstadtrings –
Und dann: Die Ereignisse überschlagen sich, während
von rechts eine zierliche Polizistin aus derselben
Seitenstraße tritt, donnert von links ein Streifenwagen
in die mir zu neuvertraute Freitagsnachmittagszenerie –
ich glaube, ich bin davor nie hier gewesen, auf dieser
Seite des Rings, ich hatte ja aber auch keinen Grund –
aber das wirklich Merkwürdige an dieser absurd
anmutenden Situation ist: Ich kenne keine Angst.
Obwohl dies mir doch das Paradebeispiel für meine
Großmutter – ihr Gott hab‘ sie selig – zu sein scheint,
eine Demonstration ihres Was alles passieren kann,
wenn man schon mal das Haus verlässt!
Was, in
der Umkehr, ja nur heißt, dass ja nur überhaupt und
als ob was passieren kann, wenn man nicht nur
zu Hause hockt als ein Sklave seiner obskur eigenen
und abgewetzten Ängste –.
Stattdessen trete ich zur Seite, kram in der Tasche nach
dem Telefon, weil ich sagen will: Komm‘ nicht her! Hier,
das Büchercafé, das du vorgeschlagen hast, wird gerad‘
zum Schauplatz einer Episode
Crime Scene Investigation
Zentrum Süd-Ost. Und ganz stichwort- und der Pflicht
bewusst brüllt da auch schon ein Polizist (mittlerweile
sind es höchstens vier vor Ort und ein Sanitäter) Ey, lass‘
die Flasche fallen oder ich setze Reizgas ein!
Doch du
hebst nicht ab. Ich habe mal Bernd Michael Lade
am Hauptbahnhof gesehen. Hier warte ich jetzt und
jeden Moment auf die Thomalla und eine wirklich
rührige Szene des Abschieds, der Rudi, abseits des Sets
hinter Absperrband, der schreit Simone, ich will dich
zurück
und Ich liebe dich! Bleibt aber immer unerhört.
Weil, so endet es doch immer für diese Männer und
ihre viel zu jungen Frauenzimmer –.
Aber dazwischen, aber wozu vorgreifen, denn jetzt
betrittst du in Begleitung den Ort und die Stelle, aus
ebenderselben Seitenstraße, aus der mein junger Freund
geflüchtet kam, offenbar, wie ich dann von dir erfahr‘,
vor sich selbst zuvörderst erst einmal, seine Wunden
hat er sich offenkund dort selbst beigebracht.
Mitnichten eine Kneipenschlacht. Was sein nicht gerade
glückliches Verhandlungsgeschick mit den Hütern
des Rechts und der Pflicht auch erklärt: Dieser Mann
ist unter Selbstzerstörungstatverdacht und da,
wie immer, allein und steht unter Dauerfeuer:

Intermezzo
Du lebst allein und du stirbst allein
du lebst, liebst, fluchst und lernst;
du scheiterst allein
und dann weist man dir die Stelle,

du entleerst dir den Darm,
du füllst ihn wieder auf;
all das passiert an Ort und an Stelle
des Nur-Ich, des Ich-Allein und da-

zwischen triffst du vielleicht noch Ein,
Zwei, die du magst und ein paar Idioten
überdies, die verweist du dann
flugs Herd, Hort und Schwelle.

Du magst im Frieden sein mit der Welt
oder ihr laut grollen. Ersteres mag mehr
behagen, was nicht heißt, dass wir das
immer sind, sein können oder wollen.

Und bevor du dich versiehst, kniet dir dann ein Polizist
auf dem Gesicht.
Und, später dann, in einem anderen Café,
fragst du mich nach den Wunden. Und ich,
der ich auch kein ausgewiesener Fachmann hierfür bin,
sage frei und was ich aller Erfahrung nach nur sagen kann:
Es bleiben Narben. Was ich nicht sage ist, dass das ganz gut
so sei, weil Narben bilden sich nun mal nicht auf toter Haut
und totem Gewebe. Und es gibt ja nur die eine oder deren
zweite Möglichkeit, entweder du überlebst die Krise –
   was dich nicht klüger
      was dich nicht weiser
         und dich auch keinen Deut weit interessanter macht
und auch nicht heißt, dass du daran sonderlich gewachsen
seist – nein, einszweisiebzig, mitteleuropäisch, weiß,
ein paar Kilo zu viel, wie fast jeder hier,
und noch immer
wie es mein Pass ausweist – was in Zweifels Fall
dann eben nur heißt, du bist um diese eine Erfahrung reich,
diese eine Klippe noch einmal umschifft zu haben
oder du gehst eben drauf‘!
Mehr gibt es nicht.
Such‘ es dir aus!
Daher, junger Freund, vielleicht ist dein Leben, wie du rufst
und es in meiner Erinnerung tönt, ja gar nicht vorbei,
vielleicht fängt es ja gerade erst an. Vielleicht sitzt du ja
in einem Jahr Distanz auch im Café Cantona,
im Grunde einer Sportbar, und da dem entwaffnendsten
Augensternpaar gegenüber, das das geliebt-gescheite
Lockenköpfchen vor dir da, eben noch aufzubieten hat.
Und du erinnerst dich dann, als sie, die augenscheinlich
nicht so viel darauf gibt (und die du dafür umso mehr
magst), von einer erzählt, die ihre Schönheit gegen
andere ausspielt, und dabei nicht merkt, wie sie selbst
sich da nur versklavt, an deinen größten Trick: wie du
als Fünzehnjähriger entdeckst, dass Schönheit an sich
gar nichts, nichts ist ohne den, der sie wahrnimmt,
sich ihrer besinnt.
Und sie, die andere, darum nur ein Sklave, nicht mal ihrer
selbst ist. Und die, die du auch darum viel schöner findest,
erzählt dann weiter, unbekümmert, wie sie als Kind
im öden Ort in die Stadtbibliothek marschierte und den
Jean-Paul-Sartre-Klopper, mit dem auch du dich jetzt
wieder befasst, ausgeliehen und dann nachfolgend nicht
verstanden hat. Und während sie dann mal kurz verschwindet,
du versonnen nach links und durch das Schaufenster nach
außen und dir in die Augen blickst, kommt dir, auch mit Hinblick
auf das Vorhin, dein liebstes Jean-Paul-Sartre-Zitat wieder
in den Sinn, der sagt, der Mensch sei frei; unabwendlich
und unwandelbar sei dieser engagiert in Freiheit, was man
im Deutschen, um besser zu fassen, was er meint, eben
passivisch wiederzugeben hat, etwa wenn er meint,
im Paradox, dass meine Freiheit sich mir selbst an dem Fels,
der sich mir entgegenstellt, beweist, das heißt, wie ich diesem
entgegentrete, ihn gar übersteig‘, und wie dies zu vermögen,
nur allzu menschlich sei.
Und vielleicht, junger Freund, vielleicht beweist sie sich auch
an dem Knie eines übereifrigen Freund und Helfers in Lindgrün,
das dein Gesicht nun gelind zu Boden drückt. Vielleicht
braucht es manchmal erst und immer schon die Krise,
sich zu besinnen. Vielleicht sitzt auch du in einem Jahr
in einer Sportbar, und während das schönste Mädchen
der Welt mal kurz eben verschwunden ist, siehst du
den Kellnern, die, wie sie – die dir in bestimmter Hinsicht
weit voraus, wenn auch nicht an Jahren ist – sagt, auch
dann und wann Schauspieler im Centraltheater sind,
siehst ihnen zu wie sie lachen, scherzen und singen und
ausgelassen mit Flaschenverschraubungen hinter ihrer Theke
zu kicken beginnen, an einem Freitagnachmittag,
in der Stadt und nur unweit vom alten
Ringcafé entfernt, an einem Tag,
von dem auch du dann
glücklich gewesen zu sein
und frei von Angst
bekennen kannst.

– Und hat auch diese Frau einen anderen Mann? –

Dann ist auch sie darum nicht aus der Welt.
Wofür du ihr nur danken kannst. Wie für ihre Zeit,
ihre pure Anwesenheit. Vielleicht, mit etwas
Hartnäckigkeit und einem Mindestmaß an
Spontaneität, die doch viel besser ist
als jeder Plan, schenkt sie dir
weitere Nachmittage…
– bis dahin lebe ohne Aufschub,
nicht ohne Angst,
nicht ohne Groll,
nicht ohne Zorn,
nicht ohne Gratwanderung,
aber auch froh, gelassen und heiter.

2012/06/17-16

 
 
 
 

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