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Vom Besten die Reste: Das Jahr in der Nachlese.





„Liebe ist, wenn man gibt, was man nicht hat.“ Dieses Wort Jacques Lacans leiht sich Kurt Drawert für den Beginn seines Buches Schreiben. Vom Leben der Texte, und ich jetzt auch für die Nachlese und Resterampe, für das, was vergessen hatte oder jetzt, kurz vor Jahresende erst noch gesichtet habe. Letzteres, wie auch, dass Peter Handke zuletzt «über den Stillen Ort» wortwörtlich geschrieben hat (s.u.), eine Entdeckung, die ich der SWR-Bestenliste zu verdanken habe. Abseits des vergleichsweise Lärms, den die SPIEGEL-Bestsellerliste da allmonatlich veranstaltet (und dabei doch nur schnöde Verkaufszahlen aufzählt, und darum ganz recht und mit Verlass eines Kommentars von Denis Scheck und seiner Bücherrutsche bedarf), eine ebenso verlässliche Bank, was Neuerscheinungen betrifft, die ab und an als Newsletter in den Postkasten flattert.
Daneben, dann im Weihnachtstrubel etwas untergegangen ist die zweite Staffel von Neil Jordans Die Borgias, die kabel eins (nicht etwa die großen Schwesternsender der ProSiebenSat.1 Media AG) noch kurz davor verfeuern durfte – auf einem eigentlich guten Sendeplatz und dennoch am großen Publikum vorbei, wie ich fürchte. Nichtsdestotrotz und noch in Renaissance-Begeisterung von Sarah Bakewells Montaigne-Biographie (s. u.) habe ich sehr gern zugesehen, auch wenn ich mitschneiden musste. Diese Fernsehgewohnheit, x-- Folgen hintereinander weg zu sehen, mag was für DVD-Staffelkäufer sein, die mit dem hiesigen Programm abseits der digitalen Sparte der Öffentlich-Rechtlichen zu Recht (!) unzufrieden sind, mir ist es zu viel, es konkurriert simpel mit noch anderen Dingen und ich finde es auch schön, manche Dinge manchmal auch erst einmal setzen zu lassen, bevor man weiter stürmt.
Nicht durchgekämpft, sondern mit Freude, ja, irrsinnigem Spaß habe ich mich gesehen, und zwar durch Girls, eine Apatow-Produktion von und mit Lena Dunham, ein Tipp, wie unten erwähnt, an mich herangetragen und auch schon aus einer Rezension bekannt. Entgegen der dort noch geschürten und bis hier hin abschreckenden Erwartung hatte dies dann auch gar nichts mit dem sich anbiedernden und anödenden Gequatsche über Sex zu tun, auch wenn die Protagonisten der Serie fast ausschließlich weiblich sind, das Ganze in New York spielt und im Jugendzimmer einer derer ausgerechnet ein Sex and the City-Poster die Wand ziert. Nicht dass Sexualität hier zu kurz käme, aber sie findet hier statt, fast haptisch, und wird nicht zerredet – und dann doch wieder unter einer prüden Oberfläche versteckt. Das Erfrischendste dabei ist, dass sich Lena Dunham nicht scheut, ihren eigenen Körper nackt zu Markte zu tragen und so zur Schau zu stellen, was so gar nichts mit den Werbeposterabbildern zu tun hat, auf die zu konditionieren uns eine ganze Branche angetreten ist. Das Entwaffnende (oder auch diese Warenwelt entzaubernde) daran ist, man ertappt sich dabei, eben das auch «schön» zu finden oder, wie es mir beschrieben wurde: «schräg», auf eine «sympathische und sehr reale Weise». Das ist es wohl, was man Authentizität nennt, und worin Girls für mich – in seinen in sich geschlossenen Episoden, trotz fortlaufender Rahmenhandlung – auch an die beiden anderen Apatow-Serien der Vergangenheit direkt anschließt: Bildete Freaks and Geeks eine authentische Lebenswelt junger Menschen Anfang der 80er Jahre ab, Undeclared, die Erstsemesterkontakte in einer solchen, etwas zeitlich versetzt, dann in den Endneunzigern und Anfang der Nullerjahre, so kehrt Girls dieser den Rücken und zeigt in den Nachnullern, wie die jungen, gut ausgebildeten Mitt- und Endzwanziger nun im New York der Jetztzeit durch das Leben dies- und jenseits prekärer Arbeits- und Liebesverhältnisse schlittern.
Bliebe noch, den Soundtrack zu loben, den aber sowieso entdeckt, wer sieht. –
Daher nachgeschoben die Alben, die ich dann beim Erstellen des Jahrespolls unten noch nicht auf den Schirm, oder besser, in den Kopfhörern hatte… In die fast definitive Liste für Zwanzigzwölf hätten definitiv auch noch gehört:



Keaton Hensons Dear (via flying with anna), Masha Qrellas Analogies, die ich fast noch live gesehen hätte, wäre ich nicht einem obskuren Winterschlaf anheim gefallen, This Many Boyfriends‘ Selbstbetitelte (via Monarchie & Alltag, und obwohl deren Track I Don’t Like You (Cause You Don’t Like The Pastels) gefühlt hier schon ewig darauf wartet, einmal auf ein Tape zu kommen, muss ich zu meiner Schande gestehen, das Album komplett verpasst zu haben) sowie Die Nerven, die ich mit ihrem Lana Del Rey-Cover Sommerzeit Traurigkeit zwar unten gar aufgeführt hatte, die aber mit Fluidum (hier: im Stream) noch eine der besten deutschsprachigen Platten kurz vor Jahresschluss vorgelegt haben, die aber wieder in eine ganz andere Richtung geht, als es die Coverversion nahelegt… ebenfalls kurz vor Schluss und als Gabe zum Fest gab’s auch ein Lebenszeichen von Pulp, der wieder besten Band der Welt, deren After You, eine Neuaufnahme einer Demo aus der We Love Life-Ära, ich nun nachträglich und nur folgerichtig zu meiner Hymne des Jahres erkläre.


Andernorts schrieb ich auch über meine 20 Dinge des vergangenen Jahres, der auch eine Liste mit eher Nebensachen beigefügt war, die zwar nichts Essentiellem, aber das Jahr doch Komplettierendem huldigte wie etwa der Wirkung von Mate Tee, Wasserpinseln, dem Linksstricken, einer Plaste-und-Elaste-Wasserflasche für die Bibliotheksarbeit, sowie Couscous und Porridge als schnellen Magenfüllern.
Daneben ließe sich jetzt im Nachsatz natürlich noch einmal über Helden (nach reiflicher Überlegung und weil er irgend kaum auftauchte in den Jahresrückblicken, aber noch am meisten beeindruckt hat mich: Usain Bolt) deren Gegenteil (Verfassungsschutz, NSU, Wulff, der Papst) debattieren… Allein: was nützt es noch? Vorbei!
Weshalb ich nun noch einmal schnell meinen Vorsatz für das neue Jahr rezitiere, den wir dann bitte alle schnell verinnerlichen, eins, zwei: „Liebe ist, wenn man gibt, was man nicht hat.“
Daher folgt hier nicht nichts, sondern ein Sampler zum Jahresende und, wie ich hoffe, eine lange Liste von Texten, die sich auf jetzt.de nun schon angesammelt hat und die zu übertragen ich noch nicht gekommen bin, bevor der letzte Nicht-Tickerfreund-und-bloße-Punkteraffer da endlich das Licht ausmacht…

 
 

Für den nächstbesten Dandy...


Auch wenn „der nächstbeste Dandy“ gleich daher kommt und sich des Stückes in einer aufgekratzteren Version seiner Band, die es mittlerweile von Wien an die Spree verschlagen hat, bemächtigt: Wenn diese Ja, Panik heißt und die einen für das eigene, ebendort ansässige Staatsakt.-Sublabel unter Vertrag genommen haben – don’t panic! Nein, Gelassenheit, wie letzteres sinnigerweise heißt und neben den „Schriften – Erster Band“ auch Schabernack wie den Wurstvogel oder „Das Große Bunte Kochbuch der Gruppe Ja, Panik“ vertreibt, ist den drei Hamburgerinnen, die sich Die Heiterkeit nennen und deren Bandlogo Punkt-Punkt-kein-Komma-nur-ein-Strich ein, na, nennen wir es, eher verhalten dahergrinsender Smilie ziert, anzuraten, ebendiese zu wahren, denn, auch wenn sie im Gegenzug Ja, Paniks „The Evening Sun“ nur halb so schön noch einmal zum Strahlen bringen: sie befinden sich da in guten Händen und in bester Gesellschaft im chronisch pleiten, daher aber auch immer wieder attraktiven Berlin. Zumal unter dem Staatsakt.-Dach, das vielleicht mit die wichtigsten deutschsprachigen Stimmen in nun mittlerweile, wie der zufällig heute Morgen hereinflatternde Newsletter verriet, fast einer Dekade hervorgebracht und beherbergt hat. Oder, um mal die Marketingabteilung meines nigelnagelneuen Ökostromanbieters zu bemühen: „Sie haben alles richtig gemacht.“ Braucht man sich also gar nicht so kokett hinter dem Equipment zu verstecken – wie auf dem Cover der auf 500 Stück limitierten 12“-Split-Single, aber sehr hübsch und nicht ohne Noblesse, wie die adretten Ja, Panik-Jungs da unterstützend die Debütantinnen von Die Heiterkeit in die Gute IndieRock-Gesellschaft einführen. Bezeichnend vielleicht auch der Bildaufbau: Während Tausendsassa Andreas Spechtl sich ganz oben links verborgen hat, findet sich Gitarristin und Sängerin Stella Sommer entlang einer gedachten Diagonale unten rechts mit einem Gesichtsausdruck, der schelmisch, spitzmädchenhaft gar fast noch den des selbstbetitelten (eigentlichen) Debüts, eine EP im Eigenvertrieb, übertrifft. Da sieht man die drei, neben Stella Sommer sind dies Rabea Erradi, die Bass spielt und die backing vocals übernimmt, und Stefanie Hochmuth, die am Schlagzeug sitzt, auf Plastestühlen sitzend vor einem riesigen, schon fast verblühten Rhododendron, mit halb gefüllten Champagner- (oder auch nur Sekt-) Gläsern in der Hand und auf einem davor improvisierten Tisch, und in das Portrait unserer Protagnistinnen ragt dann auch noch irgendwie schief, ein schlecht bestückter Kerzenleuchter rein – die große Geste, die Pose, eine Band zu sein, nicht ohne gleich den ironischen Bruch ins Kleine, nur allzu Vertraute. Eine drapierte, eine künstlich arrangierte Naturszenerie, aus der es leise immerzu zu flüstern scheint: „Nicht-digital ist nun auch nicht besser.“ Vielleicht ist es dieses, vielleicht auch nur die bloße Zahl Drei oder die Hamburger Herkunft, die Unaufregtheit des Vortags, die Schrammellastigkeit bei der Instrumentierung oder auch die lakonische Sprache in Songs, deren Titel wie „Die Liebe eines Volkes (hat mich zur Königin gemacht)“, „Alles ist so neu (und aufregend)“ oder, jetzt eben, „Für den nächstbesten Dandy (wirst du mich verlassen)“ sich in ihrer Verknappung fast schon wie Slogans ausnehmen: Was mich betrifft, ich komme nicht umhin, dabei an (die frühen) Tocotronic zu denken. Vielleicht auch, weil seit „Kapitulation“, der Single, keiner mehr so schön, so lakonisch, so fatalistisch, so unaufgekratzt und heiter sich dem Unvermeidlichen gefügt hat und sich das nächstbeste Mädchen, das man(n) treffen wird, ab sofort wohl darauf einzustellen hat, im Laufe des Abends die folgenden Zeilen an den doch hübsch-zierlichen Lockenkopf geknallt zu bekommen: „Für den nächstbesten Dandy/ wirst du mich verlassen/ Für den nächstbesten Dandy/ muss man das wohl machen/ Ja, dem nächstbesten Dandy/ wirst du dich in die Arme werfen/ Ja, dem nächstbesten Dandy … “





Erschienen bei Nein, Gelassenheit.
Erscheinungsdatum: 27.4.2012 (Nein, Gelassenheit/Staatsakt)


Tracklist:
A1 Die Heiterkeit - Für den nächstbesten Dandy
A2 Die Heiterkeit - The Evening Sun (Ja, Panik Cover)
B1 Ja, Panik - The Evening Sun
B2 Ja, Panik - Für den nächstbesten Dandy (Die Heiterkeit Cover)

und es gibt sie im Ja, Panik-Shop, bei Hanseplatte (wo man auch die Die Heiterkeit-EP bekommen konnte) oder bei amazon.de, limitiert auf eine Zahl von 500 Stück. Bei letzteren ist die Single auch als Download zu haben. Oder, aus unerfindlichen Gründen, (noch) fast komplett für lau auf der Soundcloud von Nein, Gelassenheit. Im August erscheint ebenfalls dann auf diesem Staatsakt.-Sublabel dann das Die Heiterkeit-Debüt-Album „Herz aus Gold“, dessen Cellophan-Cover, falls es dieses ist, nicht weniger neckisch ausfallen wird.



Zugabe & Anekdote am Rande (vgl. auch Christian Ihles Lobreden auf diese neue, noch junge Band, auf Monarchie & Alltag, dem popblog der Berliner die tageszeitung), an die ich beim Hören wieder einmal gedacht habe: Mein Alter Herr, mittlerweile weit, weit über die Sechzig hinaus, hat so gar nichts mit fantastischen Erzählungen oder gar Fiktion vor wie auch der, und da schließe ich mich dann auch wieder an, mit der vom kleinen Jesuskind und dem lieben Gott, sieht mit meiner Schwester (und damit gezwungermaßen) „Meet Joe Black“ und bemerkt dann kurz und knapp nach dem Auftritt Brad Pitts als „Freund Hein“: „Na, wenn so der Tod aussieht, kann man ruhig mal mitgehen.“