Für J. (& ich bin ein Idiot.)

„Die hier wieder zutage tretende Oberflächlichkeit mancher Leute
kränkt mich und mein Spiegelbild doch merklich.“

Don Quixote vom Zentrum Ost
- ein Couch- oder Weiße-Ledersessel-Gespräch -
»Wissen Sie, ich habe immerzu das Gefühl,
um Menschen kämpfen zu müssen. Ich komme aus einem verschwindenden Dorf, eines der, die nach und nach dem Braunkohletagebau und der Misere der realsozialistischen Mangelwirtschaft weichen mussten. Es ist auch nicht leicht, kein Riese zu sein. Zumal, wenn dir ein ungeheures eisernes Riesenrad unablässig das Hinterland abschöpft und unablässig auf Förderbändern das Nichts, das irgendwo hinterm Haus und der Schmiede anfängt, ausweitet. Und dem monotonen, metallischen Hallen des Schaufelrads nichts entgegen zu setzen ist, als die vom Boden zusammengeklaubten Steine, die ein kleiner Junge während der Arbeitspausen an den Wochenenden und Feiertagen diesem Ungetüm entgegen schleudert. Kito Lorenc, ein Dichter sorbischer Herkunft, hat sie in einem Gedicht einmal mit Windmühlen verglichen, und die Absurdität eines Unterfangens ist mir zuerst auch an diesen bewusst geworden: Statt der, um den Arbeiter- und Bauernstaat am Laufen zu halten, avisierten Braunkohle förderten die Laufbänder am Ende nichts als Kies. Schnöden Kies. Dann kam das wirkliche Ende, nämlich das des genannten Staates und es war ganz Schluss, weil zu kostenintensiv überhaupt etwas zu fördern. Unser backsteingelbes Haus war eines der letzten im Ort, das noch stand. Und den der Unsinn noch forderte. Gleich am Eingang der Straße, noch vor der Schule und dem Hort. Ringsumher sich selbst überlassene und verfallende Gebäude und Gehöfte. Was bis heute in mir nachwirkt: Noch immer sehe ich mir lieber die abgelebtesten Ruinen an – statt noch so intakte Fassaden, noch so moderner Architektur. Doch am unheimlichsten neben dem der Häuser war für mich in jener Zeit das Verschwinden der Menschen: Irgendwann war der Einzige, den ich noch meinen Freund nennen konnte, der Hund, den genehmigt meine Eltern mir hatten. Ein Rottweilermischling, so ungestüm wie unerzogen, stürmte immer wild auf einen zu, ohne abzubremsen oder auch nur die Spur von Rast zu kennen. Er zerschmetterte meiner Mutter einmal die Kniescheibe. Später, als wir einmal nicht zugegen waren, stahl man ihn mir aus seinem Zwinger. Ich war untröstlich. Jahre später brachte meine Schwester das Verschwinden dieses Hunds mit unserem bevorstehenden Umzug in das Nachbardorf und den guten Absichten unserer Eltern in einen gedanklichen Zusammenhang. Ich habe das so nicht geglaubt. In einem verschwindenden Dorf verrohten die Sitten zusehends, oft fanden wir Gartenabfälle oder anderen Unrat direkt vor der Haustür. Es ist seltsam, dass ich diesen Hund noch immer misse: auch wenn er verzogen war, ich mochte seine Rohheit, die doch nur eine seltsame, fehlgeleitete Art der Zuneigung zu Menschen war. In gewisser Weise sind wir uns recht ähnlich, ich und der Hund: Ich habe immerzu das Gefühl, um Menschen kämpfen zu müssen, ich muss um Menschen kämpfen, damit sie nicht wieder aus meinem Leben verschwinden wie die Kinder und Freunde damals im Ort. Und das geht meist recht genauso martialisch zugange, wie das eben klingt. Ich stürme blindlings und mit offenem Visier voran und merke mitunter gar nicht, wie sehr gerade dies diese verletzt. Ich bin eben untröstlich.«

 
 
 
 

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