When music takes part...

Der Schauspieler Frank Giering ist vergangenen Mittwoch in Berlin gestorben. Die Nachrufe, die ich bisher gelesen habe, ähneln so ziemlich alle dem von Julia Jüttner auf SPIEGEL ONLINE veröffentlichten, der noch von einem sehr lesenswerten, geradezu intimen Interview mit Giering aus dem Februar zehrt. Was auch nicht weiter verwundert – für einen 38-Jährigen hat man eben keinen „in der Schublade“. Andererseits, als der fast 101-jährige Claude Lévi-Strauss im vergangenen Jahr starb, fanden auffallend viele der Gazetten Gefallen daran, den ersten Satz („Ich verabscheue Reisen und Forschungsreisende […].“) seines Buches „Traurige Tropen“ zu zitieren, was in der Häufung dann auch nicht sonderlich originell war und meist eben nicht mehr belegte, als dass die Autoren vermutlich nur diesen ersten Satz des bekanntesten Werkes von Levi-Strauss, die erste Seite und/ oder darüber hinaus vermutlich nicht viel mehr gelesen hatten.
Ich hatte zuletzt versucht, Giering in einer Rolle in einer Fernsehverfilmung auf 3sat zu sehen, und zwar, in „Der Mörder ist unter uns“ aus dem Jahre 2003, der aufgrund des Oscar™-Erfolgs von Christoph Waltz wiederholt wurde, der darin wiederum die Rolle eines Kommissars spielt, der in einem niederdörflichen Milieu ein Sexualverbrechen aufklären soll. Obwohl das Sehen kein allzu großes Vergnügen war, da einem deutschsprachigen Kriminalfilm entsprechend natürlich alles etwas vorhersehbar war und ich die von 3sat mitausgestrahlte Hörfassung für Sehbehinderte einfach nicht unterdrücken konnte, blieb ich trotzdem dran. Auch weil klar war, dass Giering der Täter sein würde, ich wollte sehen wie er „das Böse“ verkörpern würde: Ich mochte seit jeher seine reduzierte Mimik trotz oder gerade ob seines unangetastet intensiven Spiels. Am Ende war es dann fast enttäuschend als er, schon enttarnt und gerade abgeführt, noch einmal fratzenhaft sein Gesicht verziehen musste, damit es auch dem letzten Zuschauer klar wurde, dass er der Täter sei und nun bestraft werden müsse. Giering hat in vielen solcher TV-Produktionen mitgespielt, ich habe ihn immer gern gesehen, auch in „Baader“ an der Seite von Laura Tonke, der zumindest sehenswerter ist als die Krach-Bumm-Peng-Version Bernd Eichingers von Stefan Austs Buch. Filmhistorisch ist wohl auch Michael Hanekes „Funny Games“ (1997) zu nennen, auch wenn ich den nicht sonderlich schätze. Indie-Fame verdankt er vor allen Dingen dem Film „Absolute Giganten“ (1998) von Sebastian Schipper, in dem er in der Rolle des „Floyd“ einen Monolog aufsagen darf, für den er andernorts geradezu frenetisch verehrt wird und den ich so nie ganz verstanden habe:
„[…]Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn‘s so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo‘s am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment. […]“
Ich gebe zu, ich habe den Film auch gemocht, aber eher, weil man die gefühlte halbe Zeit Julia Hummer mit einem Stetson durch's Bild flackern sieht. Was die eigentliche Faszination des Films für mich ausmachte. Aber was das Zitat angeht – und ich weiß, man belehrt mich gleich, dass es ja nur im Konjunktiv, der Möglichkeitsform spielt – aber bemühen wir doch mal unseren Möglichkeitssinn: Was wäre denn, wenn Musik „immer da“ wäre? Dann wäre sie Alltag. Eine entsetzliche, unerträglich quälende Vorstellung: Sie wäre nur wie diese Musik in Fahrstühlen. Oder jenen Einkaufscentern, denen wir uns an Samstagnachmittagen hingeben und die uns zwischen all der Belanglosigkeit eines Hackfleischstandes verkünden: „Bei uns ist die Welt noch in Ordnung.“ (Globus, Leipzig/ Neuwiederitzsch, 19.06.2009) Und du weißt, das ist sie einfach nicht. Nie und nimmer. Musik würde sich in nichts mehr von dieser alltäglichen Tristesse absetzen. Den Plattensprung, der ja an sich ein störendes Phänomen ist, würde man überhaupt nicht mehr wahrnehmen, weil sie, die Musik, oder er ja eh immer da wäre.
Das ist es nicht. Daher geht man auch eher zu ausgesuchten Konzerten, nicht jede Woche; hört Musik nicht, während man sich anderen Dingen widmet, wie durch die Stadt zu stolpern oder Rad zu fahren. Sie ist ein punktuelles, ein auf eine zeitliche Ausdehnung begrenztes Vergnügen, dass sich eben nicht ins Unendliche dehnen lässt: Deshalb ist ein Film mit einem guten Soundtrack nicht bloß einer, der Lieblingstitel auf einer separaten CD versammelt, sondern weil man im Film, die eine konkrete Szene benennen kann, in der er zum Einsatz kommt, gewissermaßen selbst eine Rolle spielt: Wenn Natalie Portman „The Shins!“ strahlend die Köpfhörer absetzt und „New Slang“ einsetzt, Edward Norton Helena Bonham Carters Hand fassend verkündet: „You met me at a very strange time in my life.“, und ganze Hochhäuserblocks zu den Pixies einstürzen, wie die Lisbon-Schwestern Plattenbotschaften mit den Nachbarsjungen über das Telefon austauschen, Cameron Crowes alter ego Zooey Deschanels Rat folgt und zu dem überhaupt einzig hörbaren Stück auf The Whos „Tommy“ eine Kerze anzündet, oder Leonard Cohens „So Long, Marianne“, Milch und Kekse darüber hinweg trösten müssen, von Talulah Riley eben verlassen worden zu sein, oder, wenn Jesse Eisenberg von seinem Blickwinkel auf dem Beifahrersitz aus die neben ihm sitzende, das Vehikel steuernde und folglich nach vorne starrende Kristen Stewart betrachtet und dazu einer seiner „favourite bummer songs“ vom gerade überreichten Tape einsetzt – „Pale Blue Eyes“ von The Velvet Underground…




15½ times …and the music takes part:
01 Quentin Tarantino: Pulp Fiction (1994)
02 David Fincher: Fight Club (1999)
03 Sofia Coppola: The Virgin Suicides (1999)
04 Cameron Crowe: Almost Famous - Fast berühmt (2000)

(unbedingt in der Untitled: Almost Famous the Bootleg Cut-Version gucken...)
05 Sofia Coppola: Lost in Translation - Zwischen den Welten (2003)
06 Isabel Coixet: Mein Leben ohne mich (2003)
07 Peter Hedges: Pieces of April - Ein Tag mit April Burns (2003)
08 Zach Braff: Garden State (2004)
09 Sofia Coppola: Marie Antoinette (2006)
10 Jason Reitman: Juno (2007)
11 Greg Mottola: Superbad (2007)
12 Bruce McDonald: The Tracey Fragments (2007)
13 Rémi Bezançon: C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben (2008)
14 Richard Curtis: Radio Rock Revolution (2009)
(The Boat That Rocked - die geschnittenen Szenen sind fast noch besser, unbedingt in die Extras reinschauen...)
15 Greg Mottola: Adventureland (2009)
15 ½ Michael Winterbottom in mies: 9 Songs (2004), in toll: I Want You (1998)
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