Was mich betrifft (1) vs. Florian Mausbach: „Ermutigung zu aufrechtem Gang“ – LVZ-Online

Unter dem Motto Gedanken zum Denkmal veröffentlicht die Leipziger Volkszeitung derzeit eine Reihe:

Zur Erinnerung an die Friedliche Revolution von 1989 soll Leipzig ein Einheits- und Freiheitsdenkmal erhalten. Fünf Millionen Euro stellt der Bund dafür zur Verfügung, auch der Freistaat Sachsen will sich finanziell engagieren. In Leipzig wird nicht nur über den Standort, die Gestaltung und den Inhalt eines solchen Symbols debattiert, das Projekt ist insgesamt umstritten. In der Serie „Gedanken zum Denkmal“ lassen wir prominente Befürworter und Gegner zu Wort kommen.

Alle bisherigen Beiträge zu dieser Reihe finden sich hier: http://www.lvz-online.de/gedanken




Zu Wort kam dieses Mal Florian Mausbach, laut Leipziger Volkszeitung bis Mai 2009 noch Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, nun im Ruhestand; Mitinitiator für die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals und, das verrät ein flüchtiger Blick auf wikipedia, dafür sogar schon geehrt, allerdings in Berlin, allerdings auch (aber da lassen wir uns gern eines Besseren belehren, zumal wir um die Zitierfähigkeit eben dieser Adresse wissen), ohne Bezüge zu der Zeit oder der Stadt Leipzig vor 1989 (auch wenn ein China-, will heißen, ‘kommunistisches-Ausland’-Aufenthalt erwähnt und in Szene gesetzt ist): „Ermutigung zu aufrechtem Gang“ heißt der kurze Artikel und provoziert Widerspruch. Nicht weil derart brillant oder gar gerissen wäre, nein, sondern weil jene bundesrepublikanischen Nachwendestereotype (nur wieder einmal) bedient werden:

„In Leipzig erfolgte der entscheidende Durchbruch. Aus der dortigen Nikolaikirche mit ihren Friedensgebeten gingen die Montagsdemonstrationen hervor mit den Rufen ‘Auf die Straße!’, ‘Wir sind das Volk!’ und ‘Keine Gewalt!’. Am 9. Oktober 1989 gingen 70 000 Bürger auf die Straße, eine Übermacht, vor deren friedlichem Auftritt die 8000 bewaffneten Kräfte wie gelähmt kapitulierten. Es war dieser Sieg der ‘Heldenstadt’, der den Damm brach und die Proteste auf das ganze Land ausweitete, eine historische Tat, die es verdient, auch in Leipzig durch ein bleibendes sichtbares Zeichen gewürdigt werden.“ (Mausbach 2009, S. 12)

Florian Mausbach erzählt (uns) eine Geschichte. Eine Geschichte, die die Nachgeborenen genau wie die in dieser Stadt, in dieser Zeit Geborenen längst kennen, zumal, wenn sie diese selbst mehr oder minder miterlebt haben. Aber das ist noch nicht sonderlich ärgerlich. Auch ein »westdeutscher« Autor kann sich durchaus mit dem Vermächtnis/ den Nachwirkungen realsozialistischer Bemühungen beschäftigen, stellt er diese in adäquater Weise dar, findet so etwas wie eine der gesellschaftspolitischen Voraussetzungen angemessene Wahrheit.

In dieser Hinsicht eine Randbemerkung: Der so genannte oder dann eben so zu nennende »Wenderoman« mag noch (immer) auf sich warten lassen, wir hingegen empfehlen für die Zwischenzeit die Erzählungen Friedrich Christian Delius’ Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus und, eindringlicher noch, Die Birnen von Ribbeck, da diese es, wie wir meinen, schaffen, nicht nur einen unverklärten Blick auf den DDR-Alltag zu schaffen, sondern auch diese nicht üblichen (westdeutschen) Ressentiments auszuliefern.

Was uns zu Mausbachs Gedankengängen zurückführt: Dieser hingegen feiert die Herbstrevolution von 1989 als eine Wiederauflage, gar Vollendung der bürgerlichen Revolution von 1848:

[...] Die Herbstrevolution von 1989 hat eine lange Geschichte deutscher Freiheits- und Einheitsbestrebungen vollendet. Wie die Märzrevolution von 1848 war sie Teil einer großen europäischen Freiheitsbewegung. In Deutschland mündeten beide Volksbewegungen in Berlin. Brenn- und Angelpunkt der bürgerlichen Freiheitsbewegungen aber waren Leipzig und Frankfurt am Main, zwei traditionell freie bürgerliche Städte, Zwillingsstädte als Messe- und Handelsplätze, als Orte des Journalismus und der Literatur.“ (Mausbach 2009, S. 12)

Leipzig und Frankfurt am Main, die gutbürgerlichen Zwillingsstädte. Nicht schlecht. Wie sich alles fügt. Obwohl Frankfurt (zumindest für die Literatur) anno 1848 als ein Zentrum anzusetzten, doch gelinde etwas gewagt scheint. Das ebenso gutgefügte Germanistenhirn bringt alsgleich daher noch einen anderen Protagonisten mit ins Spiel, der eine dritte Stadt, wenn auch kein ausgewiesener Messe- und Handelsplatz, mit den beiden in Verbindung bringt und der Bezug zur Paulskirchenverfassung so dann auch irgend stimmt. Old Goethe verbindet natürlich das Klein-Paris an der Pleiße mit dem Main und macht die Assoziationskette von Frankfurt über die kurzlebige nach der »Klassiker«-Stadt Weimar benannte Republik perfekt - direkt zum im selbst erklärten »Arbeiter- und Bauernstaat« aufmüpfigen Leipzig und dessen Nikolaikirche. Aber regt sich da nicht schon Widerspruch, wird mir da nicht ein schiefes Geschichtsbild implementiert, Verbindungen gezogen, wo doch gerade die Diskontinuitäten hervorzuheben wären?

Nun, spätestens, im Schlussbild Mausbachs ist ein derart verzerrtes Bild historischer Gegenwart erreicht, dass dieser, ein Widerspruch, nicht ausbleiben könne, sich doch artikulieren müsse:

„[...] Und ist es Zufall, dass beider Freiheitsbewegungen Asyl fanden im religiösen Schutzraum einer Kirche, der Paulskirche und der Nikolaikirche? Beide Kirchenbauten sind zu Symbolen der Demokratie geworden. Wie zu allen Zeiten brauchen auch heute die Menschen Zeichen und Bilder zur Erinnerung und Ermutigung, zur Erinnerung an die Helden der Friedlichen Revolution und zur Ermutigung zu aufrechtem Gang und Zivilcourage.“ (Mausbach 2009, S. 12)*

Mausbach vergisst, dass es (in der Literatur) nicht ohne Grund Vormärz heißt: denn das Danach, dass die Revolution von 1848 gerade durch die verraten wird, von denen sie getragen werden sollte - das Bürgertum, und dass nach 1848 die Restauration endgültig siegt, dass das Kaiserreich, deutsch-französischer und I. Weltkrieg folgen bis die Weimarer Republik kurz entstehen (darf) und sich eine unrühmliche Episode 1933-45 anschließt, die hier wieder ausgeblendet ist, und die eine Teilung in die Bundes- und die Deutsche Demokratische Republik erst nach sich zieht, das alles fehlt.

Zitieren wir als Beleg nur den Brief von Georg Weerth, selbst ernannter »Lumpenproletarier« und der »erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats« (wie es im Nachruf Friedrich Engels, aus dem hier zitiert wird, heißt):

„Ich habe in der letzten Zeit allerlei geschrieben, aber nichts beendigt, denn ich sehe gar keinen Zweck, kein Ziel bei der Schriftstellerei. Wenn Du etwas über National-ökonomie schreibst, so hat das Sinn und Verstand. Aber ich? Dürftige Witze, schlechte Späße reißen, um den vaterländischen Fratzen ein blödes Lächeln abzulocken – wahrhaftig, ich kenne nichts Erbärmlicheres! Meine schriftstellerische Tätigkeit ging entschieden mit der ›Neuen Rheinischen Zeitung‹ zugrunde.“ (vgl. MEW, Bd. 21, S. 7)

Diese wird eingestellt und die Revolution? Die scheiterte...

[...] Weerth resignierte [...], wurde <europamüde>, ging in die Neue Welt, suchte den Schmerz über die schrecklichen Zustände in Europa in Abenteuern zu ersticken. [...] [M]it seinem Schweigen [kurz ausgesetzt durch die kurze, doch sehr lesenswerte Episode mit Betty Tendering s. u., der Verf.] brach zugleich eine große Tradition aufklärerisch-revolutionärer Literatur ab. Die radikale Staats- und Gesellschaftskritik - in den Zeiten der Aufklärung, des Sturm und Drang, des Jungen Deutschland und des Vormärz vielstimmig geübt - verstummte ebenso wie die Satire als Gattung und Form und Intention. Der <Untertan> etablierte sich und verdiente. Ein Jahr vor Weerths Tod erschien Gustav Freytags Buch Soll und Haben und verherrlichte jenes Bürgertum, das gerade so kläglich versagt hatte.“ (Juergen-Wolfgang Goette Nachwort [1969], in: Weerth 1971)

Georg Weerth stirbt - nachdem ihm Betty Tendering ihre Liebe versagt hat wie zuvor auch schon Gottfried Keller - jung: am 30. Juli 1856 in Havanna, wo er auch beigesetzt ist.

Das Scheitern der bürgerlichen Revolution, das Kaiserreich, deutsch-französischer und I. Weltkrieg, die Weimarer Republik, Drittes Reich, II. Weltkrieg und schließlich die Teilung Deutschlands - all das ist hier ausgeblendet. Von den Hoffnungen, Ansprüchen, Erwartungen, die sich Leute in diesem anderen Deutschland einmal machten, ganz zu schweigen; Fakt ist, die 70.000, die sich 1989 dann auf der Straße versammelten, waren nicht das Bildungsbürgertum, das sich in der Paulskirche 1848 versammelte, um eine nationaldeutsche Verfassung auszuarbeiten, sondern Staatsbürger eines erklärten Arbeiter- und Bauernstaates, die zu jenen der Montagsandachten in der Nikolaikirche zustießen - auf der Straße gegen die Repressalien eines Staates, in dem ein Atheismus weit verbreitet war. Wer schon einmal in der Nikolaikirche war, wird allein schon daraus schließen können, dass der Herbst 1989 (und davor) nicht, wie Mausbach es nahe legt, von dort etwa aus religiösem Eifer auf die Straßen führte. Nicht, dass der Nikolaikirche, der Montagsandachten, ihre Rolle abzusprechen wäre, aber die DDR-Wirklichkeit war eine weihin säkularisierte** und 70.000 Menschen versammelten sich hier, in dieser Kirche (schon aufgrund ihrer Architektur), nie.

Aber das alles ist noch nicht sonderlich ärgerlich. Man ist gewöhnt an jene Verklärung der Geschichte, natürlich spart auch Mausebach nicht wieder den Vergleich beider „[...] deutsche[r] Diktaturen [,] [die] mit inszenierten Massenaufmärschen und einschüchternden Denkmälern den öffentlichen Raum [besetzten]“ (Mausbach 2009, S. 12) im Gegensatz zu, natürlich, zur „Demokratie“, ohne die ideologisch-philosophisch Diskrepanz zwischen diesen beiden sogenannten »Diktaturen« geschaut zu haben oder auch nur, dass sich die eine - anders als die Bonner Bundesrepublik in ihren Anfangen - entschiedener von der anderen abzusetzen versuchte - was die euphemistische Verklärung der Mauer als »antifaschistischen Schutzwall« ja erst gestattete...

Was wirklich ärgerlich oder auch nur kläglich ist, ist die knappe Meldung auf der selben Seite, eine lapidar- zusammengestrichene/ -bearbeitete dpa-Meldung, der Dichter

Adolf Endler

sei tot.

the city is hard, the city is fair pickt unter den vielen Nachrufen, Gerrit-Jan Berendses heraus, einem Kenner, auch der Sächsischen Dichterschule, der Endler in seinen Anfängen, nachdem er »von drüben« gekommen war, angehört hatte:

Berliner Zeitung online: Gerrit-Jan Berendse, Der Tarzan vom Prenzlauer Berg. Der "Pudding der Apokalypse" ist aufgegessen. Der Lyriker Adolf Endler ist tot, URL: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0804/feuilleton/0002/index.html [Stand: 05. August 2009].

Im Gegensatz zu Mosbachs Gedanken lesenswerter, da nicht in der Alternativlosigkeit zu einem vermeintlich obsiegenden Kapitalismus gefangen, und weit kenntnisreicher um den anderen deutschen Staat ist Endler im Gespräch mit DIE ZEIT (2006 bereits erschienen), insbesondere dort vergleiche man die Einstellung zu beiden Diktaturen - und Endler könnte als vermeintlich »übergelaufener«, zudem dann mit Berufsverbot belegter Schriftsteller weit kritischer sein - andererseits, dass kein falscher Eindruck entsteht, auch nicht die bissigen Kommentare zur realsozialisten Misere seien hierbei ausgespart:

DIE ZEIT (Ausgabe 27 [29.06.2006]): Das Museum bin ich, URL: http://www.zeit.de/2006/27/endler-interview.

NB. Äußerst seltsam, nicht gerade für das wiki-Procedere spricht, wie gerade mit Endler dort umgegangen wird - besagtes Interview wird flugs getilgt (ich hatte es zuvor wohl dort gelesen und suchte dann ebd. vergebens), wobei m. E. den Artikel nicht verfälschend, gleich mehrere Leute fühlten sich wohl berufen, den Artikel, sobald die Nachricht des Todes auch nur irgendwo angedeutet war, nach Belieben zu ändern... das ist doch nicht redlich. Aber das wussten wir ja auch schon.

 
 
 
 

Kommentar veröffentlichen 2 Kommentare:

thecityishardthecityisfair hat gesagt…

* Vorab müssen wir bemerken, wir leben leider in keinem vollkommenen laizistischen Staat: das beweisen allein die beiden Parteien auf Bundestagsebene mit dem formvollendeten C im Namen oder die Sonntagsgottesdienste im Fernsehen, kurz bevor mit Immer wieder sonntags (oder dem natürlich fast parallel dazu auflaufenden ZDF Fernsehgarten auf dem anderen öffentlich-rechtlichen Programm) die wirklichen Parallelgesellschaften mehr mediale Präsenz für sich verbuchen dürfen, als jeder islamistische Hassprediger in jedem beliebigen Kölner Hinterhof.
the city is hard, the city is fair entschuldigt sich an dieser Stelle für die ungestüm-klischeehafte Wortwahl bei unseren muslimischen Mitbrüdern: Wir sind Ungläubige das stimmt, aber wir haben uns, in eurem Jargon, auch nicht noch nicht für den falschen Gott entschieden...

**Weshalb wir mit Befremden auch schon auf das Wirken des Paulinervereins zugunsten der Neugestaltung der Aula der Universität Leipzig hingewiesen haben.

Literaturangaben:
Delius, Friedrich Christian: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus, Reinbek bei Hamburg 1995.

Delius, Friedrich Christian: Die Birnen von Ribbeck, ungekürzte Ausgabe, Reinbek bei Hamburg 1997.

Mausbach, Florian, „Ermutigung zu aufrechtem Gang“, (Gedanken zum Denkmal), in: Leipziger Volkszeitung (04.08.2009), S. 12. [= LVZ online: Florian Mausbach: „Ermutigung zu aufrechtem Gang“, URL: http://www.lvz-online.de/aktuell/content/105645.html [Stand: 05. August 2009].

Weerth, Georg, Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben, Herausgegeben von Jürgen-Wolfgang Goette, Stuttgart 1971.

Ders., Briefwechsel mit Betty Tendering, hrsg. v. Bruno Kaiser, Berlin, Weimar 1972.

6. August 2009 um 01:16

thecityishardthecityisfair hat gesagt…

***verschoben

Adolf Endler ist tot...

…und ich habe keinen Vers zitiert, obwohl ich über die Sächsische Dichterschule meinen Magister ablegen werde, aber da, dies zur Entschuldigung, noch nicht alle Gedichtbände eingetroffen sind... – dessen ungeachtet: ich hatte einen Schauer auf dem Rücken als ich dies (in einer Rezension zu unten genannten Gedichtband) zuerst las - hier nun (vorerst) via Google books:

"Endlers Blog
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose
Und Auschwitz ist Auschwitz ist Auschwitz ist
Auschwitz"


Literaturangaben:
Adolf Endler, Krähenüberkrächzte Rolltreppe. Neunundsiebzig kurze Gedichte aus einem halben Jahrhundert, Göttingen 2007, S. 81.

22. August 2009 um 02:45

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