Wrapped Up in Books (1): Marx, Bukowski, Canetti revisited



“11 Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.”

(Karl Marx, Thesen über Feuerbach, hier: S. 54)

Michael Berger (Hrsg.), absolute Karl Marx, Freiburg 2005. Entgegen dem verstaubten Image (auch diesen Band ziert ein Bild von old Marxens langem Bart) und dem allgemeinen Nachwendeabgesang widmet die von Klaus Theweleit herausgegebene Reihe absolute, die bei orange press erscheint, Karl Marx einen Band, dem es gelingt, sich diesem (wieder) weitgehend unbefangen nähern zu können: Zum einen, weil dieser ohne den ganzen Rattenschwanz von verquasteter Theorie und realsozialistischer Mangelwirtschaft selbst zu Wort kommt, sei es im einleitenden Interview, einschlägigen Stellen aus dem Werk (die durch die von Michael Berger eingeworfenen biographischen Essays gut ergänzt werden) oder auch die teilweise in “Migranto” verfassten u.a. an “Frederick” (d.i. Friedrich Engels) adressierten Briefe aus dem Londoner Exil. Einziger Kritikpunkt: bei einigen Auszügen, um die es sich hierbei manchmal handelt, sind Auslassungen dann und wann nicht kenntlich genug gemacht worden, was besonders beim Manifest der kommunistischen Partei ins Auge fällt, wenn dessen Schluss schlicht fehlt.

Andererseits schafft es der auch schon in seinem Format ungewöhnliche Band (er kommt quadratisch in serifenloser Schrift) Schlaglichter zu setzen, etwa wenn Zitate farbig ganze Seiten füllen, historische Fotos den Zeitkolorit, den die immer wieder eingestreute Biographie wachruft, erhellen – oder oben zitierte Thesen über Feuerbach in der Handschrift Marx’ erstrahlen. Natürlich fehlen neben Verweisen (auch einer Bibliographie und, hervorzuheben, einem Personenregister) auf die historische Gegenwart auch nicht jene auf das Hier und Jetzt: allerdings ohne jenen dogmatisch-bitteren Beigeschmack, ob nun Freund oder Feind.

Und während das Marx-Relief, das seinerzeit die nach ihm benannte Universität in Leipzig zierte, längst abgehangen ist und ein mit Nobelpreisträgern aufwartender Verein sich mehr denn in Geschichtsklitterung als historisch-kritischer Analyse der Gegenwart übt (und dazu beigetragen hat, dass die neue Aula ebendieser Universität die gesprengte Paulinerkirche zumindest optisch im Stadtbild ersetzen soll), kann man ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, wenn Michael Berger schließt: “Die wichtigste Botschaft des Kommunistischen Manifests ist unverändert aktuell: Die Verhältnisse sind überwältigend, aber wir können trotzdem etwas dagegen tun.” (S. 191) Wie wenig Veränderung wir uns doch zutrauen - in Zeiten alles lähmender “Finanzkrisen”, von denen wir nicht einmal wissen wollen, wer diese namentlich ausgelöst hat, obwohl wir dies doch könnten.

“[…] Wir steuerten unser Apartment an/ (von dem wir jetzt hofften, es/
werde uns noch eine Weile/ erhalten bleiben), wir hatten/
getan, was wir konnten, um/ unseren Status als anständige/
Bürger zu festigen; […] / Niemand würde je Verständnis/
haben für das, was wir wirklich/ waren. Und wir erwarteten es/
auch von keinem.”

(aus: Leergut, S. 35f)

Charles Bukowski, Letzte Meldungen, Herausgegeben und übersetzt von Carl Weissner, Frankfurt am Main ²2008. Wie schon die 439 Gedichte zuvor erscheint Letzte Meldungen (sic! ebendiese – der Titel ist gut gewählt, obwohl inhaltlich Erinnerungen bis ins zarte Kindesalter, aber auch an Krankenhausaufenthalte und Altersgebrechen verhandelt werden – eingepackt in zwei dicke Pappdeckel) exklusiv bei ZWEITAUSENDEINS. Er versammelt neben Einem schlampigen Essay über das Schreiben und das verfluchte Leben Gedichte aus den Bänden Sifting Through the Madness For the Word, the Line, the Way; The Flash of Lightining Behind the Mountain (New York 2003, 2004) und Bone Palace Ballet (Santa Rosa, 1997), bei denen sich Carl Weissner als Herausgeber und Übersetzer in Orientierung an Bukowski selbst vorbehalten hat, bei der Aufnahme in diesen deutschsprachigen Band mehr als die amerikanischen Verlage auf Qualität, denn Quantität zu setzen: “[…] Selbst im schönsten Schaffensrausch hielt [Bukowski] höchstens 50% seiner Gedichte für gelungen. Wenn er sehr streng mit sich war, ließ er nur noch 10 Prozent gelten.” (S. 281) Nun, die rund 270 Seiten, auf die sich Weissners Auswahl darum beschränkt, spricht zumindest nicht gegen dieses Procedere. Bekannt launig, amüsant bis brutal offen und manchmal einfach schlicht wahr: “[…] Manchmal muß der Mensch sich/ in ein Motel flüchten/ um seine gottverdammte/ Seele zu retten.” (aus: Ein Abend wie er sein soll, S. 23) Letzte Gewissheiten ein Spielers, der das Leben auch nicht besser verstand.

Ebenfalls bei ZWEITAUSENDEINS erschienen, auf zwei mp3-CDs mit einer Gesamtspieldauer von 33 Stunden und sechs Minuten (!!) gepackt, ist das Hörwerk Elias Canettis. Und so schließt sich denn hier der Kreis: im Gegensatz zu der dräuenden Gegenwart versuchte sich dieser gar als »Hüter der Verwandlungen« in nichts Geringerem, als den Tod aufzuhalten. Auch wenn der »sig« auch hier wohl wieder Letzerem gehören sollte – Zitat aus dem Nachlass (hier zitiert nach dem edel gestalteten Beibuch, S. 50):

“[…] Ich möchte in Stockholm die Rede gegen den Tod halten. Es soll die Rede meines Lebens sein. (Elias Canetti am 22.10.1981)

Aber ich werde sie nicht halten. (Einen Tag später, darunter notiert.)”

Elias Canetti, Das Hörwerk 1953 – 1991. Sämtliche Lesungen eigener Texte, Gespräche, Vorträge, Herausgegeben von Robert Galitz, Kurt Kreiler und Katharina Theml, Frankfurt am Main ²2006.

 
 
 
 

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thecityishardthecityisfair hat gesagt…

Marx: Thesen über Feuerbach; vgl. MEW, Bd. 3, S. 535.

In der Reihe absolute (orange press) sind weitere Bände u. a. zu Paul Feyerabend, Simone de Beauvoir, Pierre Bourdieu, Claude Levi-Strauss, Jaques Derrida oder auch zu Noam Chomsky erschienen, den es zudem auch im absolute(ly)-Interview (“Macht und Gerechtigkeit”) im Dialog mit Michel Foucault gibt.

Neben Elias Canettis Lebensgeschichte empfiehlt The city’s hard, the city’s fair insbesondere dessen “Aufzeichnungen” - die Aphorismen-Bände Die Provinz des Menschen und Das Geheimherz der Uhr.

29. Juli 2009 um 00:54

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